Innsbruck im Bombenkrieg

Die beiden Dezember-Bombenangriffe auf Innsbruck

Dieser Tage jähren sich zum 78. Mal die beiden ersten Bombenangriffe auf Innsbruck im Zweiten Weltkrieg. Heuer ist es deshalb so besonders, weil die Wochentage exakt dieselben sind wie damals, also ein Mittwoch und der Sonntag vor dem Weihnachtsfest. Zwei der insgesamt sechs Innsbrucker Polizeireviere sollen deshalb mit ihren beiden Erfahrungsberichten zu Wort kommen und uns Nachkriegsgenerationen so ein Bild vermitteln der ersten Stunden nach dem Ende der Bombardierungen. Als weiterführende und vor allem tiefergehende Lektüre darf ich mein Buch „Als in Innsbruck die Sirenen heulten“ empfehlen.

1. Bombenangriff am Mittwoch, 15. Dezember 1943:

Winkler-Apotheke

Das Eckhaus Herzog-Friedrich-Straße / Riesengasse mit der total verwüsteten Winkler-Apotheke.

1. Polizei-Revier_Einsatzbericht 15.12.1943

2. Bombenangriff am Sonntag, 19. Dezember 1943:

Grenzstraße 3

Beim zweiten Angriff ein Volltreffer: Das Einfamilienhaus Grenzstraße 3.

5. Polizei-Revier_Einsatzbericht 19.12.1943

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Der Häuserblock Kärntner Straße 52 bis 58 kurz vor dem endgültigen Abbruch im März 2021 mit Innenaufnahmen des damaligen Luftschutzkellers, der sich bis zuletzt unverändert präsentierte:

Blick auf die vier Hausnummern (v.l.n.r.) 58, 56, 54 und 52. Der folgende Link zeigt den Block mit dem LS-Pfeil, wie er sich während der Jahre 1943-45 darstellte: http://innsbruck-erinnert.at/der-pfeil/

Die Eingangstüre in den Luftschutzkeller besteht nach wie vor.

Der ehemalige Luftschutzkeller mit dem kleinen Fenster zur Straße hinaus. Die Decken waren massiv, was gemeinsam mit der Raumhöhe und der Kleinheit des Raumes mit Sicherheit zu einer beengten Atmosphäre während eines Fliegeralarms geführt hat.

Bei diesem abgegrenzten Teil dürfte es sich vermutlich um eine Art Toilette handeln. Jedenfalls wurde diese Mauerwand nicht nachträglich eingebaut.

Der Hinweis „Durchbruch zum Nachbarhaus“ fehlt hier genauso wenig wie in den anderen Kellern im Pradler Saggen (siehe dazu auch etwas weiter unten).

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Ein schönes, weil typisches Beispiel für einen Wiederaufbau: Der total zerstörte Mittelteil in der Sonnenburgstraße 20-22  bekam ein ganz anderes Aussehen. Dieser Neubau gehörte zum östlichen Flügel des ehemaligen Bundesbahnwohngebäudes am Südring, welches im Herbst 2020 abgerissenen wurde.

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Ich habe noch folgende interessante Aufnahmen in meiner Sammlung gefunden, aufgenommen im Keller des Hauses Oswald-Redlich-Straße 1, welches ebenso zum Pradler Saggen gehört:

Oswald-Redlich-Straße
Oswald-Redlich-Straße

Kärntner Straße 52 – durch den beginnenden Abbruch kommt so manches Verborgenes ans Tageslicht, wie hier im Keller die Maueraufschrift „Durchbruch zum Nachbarhaus“. Ein ehemaliger Wegweiser für jene Personen, die in diesem LS-Keller verschüttet worden und nicht mehr über den üblichen Kellerausgang ins Freie gelangt wären, was im Nachbarhaus hoffentlich möglich gewesen wäre.

An derselben Hausnummer lässt sich weitere folgende interessante Beobachtung feststellen: Während das linke Kellerfenster ein „normales“ Aussehen hat, ist das rechte zugemauert und besitzt nur ein Ableitungsrohr mit einer Schlitzvorrichtung. Ich vermute, dass es sich dabei um ein Belüftungsrohr für den LS-Keller handelt.

Dasselbe Rohr aus der Nähe betrachtet – die Details sind sehr deutlich zu erkennen.

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Ich habe folgende Bodenauffälligkeit oberhalb des Poltenhofes am Lanser Kopf entdeckt, von der ich vermute, dass es sich – schon alleine der Form wegen – um einen Bombenkrater handelt vom 2. Angriff am 19. Dezember 1943:

Deutlich ist der V-Einschnitt – wie bei Bombenkratern üblich – zu erkennen.

Aus der Nähe betrachtet fällt auf, dass diese Bodenvertiefung zum restlichen Gelände eher sehr ungewöhnlich ausfällt. Bemerkenswert ist weiters, dass gegenüber dieser Senke eine weitere, etwas kleinere (vielleicht auch durch Erosionen sich veränderter) befindet.

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Filmaufnahmen nach einem Bombenangriff auf Innsbruck (Link zu Vimeo, eingestellt von „Altneuland“)

In diesem Kurzvideo (2:07 Minuten) sieht man zuerst private Urlaubsaufnahmen eines Wehrmachtsoldaten in der Innsbrucker Innenstadt und anschließend einige zerstörte Gebäude. Zum besseren Verständnis werden nachstehend die Objekte angeführt:

0:01 Salurner Straße / 0:03 Maria-Theresien-Straße mit Annasäule / 0:12 Meraner Straße in Richtung Bozner Platz / 0:16 Museumstraße / 0:20 Marktgraben mit Ladenvorbauten und Ursulinenkloster / 0:24 Eingang in die Altstadt / 0:28 Claudiastraße / 0:45 zerstörte Arkaden am Westfriedhof / 0:49 Ruine Bozner Platz 7 (Apotheke) / 0:55 Meraner Straße mit (links) Cafe Weiß und Hotel Kreid sowie (rechts) der zerstörten Landeshypothekenanstalt (Hypobank) / 1:00 Maria-Theresien-Straße 51-57 (zerstörte Riccabona-Häuser) mit Triumphpforte / 1:06 zerstörter Hauptbahnhof / 1:13 unbekannte Ruine / 1:16 Wilhelm-Greil-Straße mit (rechts) der Rückseite Bozner Platz 7 und dahinter dem zerstörten Cafe Weiß und anschließendem Kameraschwenk zum Gauhaus (heute: Landhaus) mit einer NS-Totenfeier / 1:35 Verabschiedung der Bombenopfer am Höttinger Friedhof / 1:49 unbekannte Ruine (vermutlich in Hötting)

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Aufstellung der beteiligten Bombergruppen je Angriff

Aus dieser Aufstellung ist ersichtlich, welches Bombergeschwader wie oft und bei welchem Angriff eingesetzt worden ist. Das 464. Bombergeschwader hatte sich am 25.11.1944 dem 304. Bomb Wing nur für diesen Angriff angeschlossen, gehörte aber weiterhin dem 55. Bomb Wing an.

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Ich habe kürzlich die Lebenserinnerungen eines weiteren Innsbrucker Zeitzeugen erhalten, die ich an dieser Stelle veröffentlichen darf. Herr E. B., geboren 1933, aufgewachsen in der Innenstadt, Universitätsstraße, berichtet:

„Immer wenn es Fliegeralarm gab, waren wir angewiesen, einen Stollen über dem Inn bei St. Nikolaus aufzusuchen und dort bis zur Entwarnung auszuharren. Das passierte aber meiner Erinnerung nach nicht allzu oft. Am Mittwoch, dem 15.12.1943 freilich war es plötzlich anders. Es war ein wolkenloser Tag mit klarem, blauem Himmel. Wir saßen gerade beim Mittagessen in unserer Wohnküche, meine Mutter, wir drei Buben und Papas Schwester Tante Burgi, die für einige Tage auf Besuch gekommen war.  Ob wir die Sirenen nicht gehört oder missachtet haben, weiß ich nicht. Auf einmal jedenfalls vernahmen wir und sahen vom Küchenfenster aus silbrig-glänzende Flugzeuge über uns und gleichzeitig krachte es: Der erste Luftangriff auf Innsbruck. In Panik stürzten wir aus dem Haus. Der uns zugeteilte Luftschutzkeller war im gegenüberliegenden Gebäude der Alten Universität gewesen, Universitätsstraße 4a. Aber bevor wir dieses Haus erreichten, stürzte ein Teil davon in sich zusammen. Im Wissen, dass die Jesuitenkirche eine sehr stabile Krypta hat, wies unsere Mutter uns dorthin. Also rannten wir durch den Durchgang rechts neben dieser Kirche und ihrer Außenwand entlang in Richtung Seiteneingang vorne. Wir drei Buben waren bereits im Kirchenvorraum, von dem die Stiege hinunter in die Krypta führt, meine Mutter und die Tante Burgi direkt an der Tür, da fehlt mir plötzlich die Erinnerung. In diesem Augenblick haben nämlich eine oder mehrere Bomben in die Kirche eingeschlagen, ein Großteil des Kirchenschiffes stürzte ein und auch vom Vorraum teilweise die Decke. Zu mir gekommen bin ich wieder, auf einer hölzernen Wandbank liegend, in der Eingangshalle des nahen Grauer-Bär-Hotels, der Kirche direkt und unserer Wohnung schräg gegenüber.

Was war geschehen? Herabstürzende Mauerteile hatten mich getroffen und umgeworfen, ich war bewusstlos, wie lange weiß ich nicht. Angeblich sind Soldaten der Deutschen Wehrmacht gleich einmal gekommen und haben mich und meine Brüder hinüber ins Hotel getragen. Meine Mutter und die Tante Burgi waren unverletzt geblieben, mein Bruder Walter hatte eine sehr schmerzhafte Oberarmverletzung, die man später als einen Bruch des Oberarmknochens diagnostizierte, und mein Bruder Josef hat nur einen tiefen Kratzer über seine Wange abbekommen. In der von uns nicht mehr erreichten Krypta der Jesuitenkirche waren einige Menschen unverletzt, die Messnerin aber konnte knapp zwei Meter neben unserer Unglücksstelle direkt unter der Sakristeitür nur mehr tot geborgen werden.

Außer ihr hat es offensichtlich mich besonders stark erwischt. Mein schlechter Zustand und ein massiv blutiger Harnabgang wiesen auf schwere innere Verletzungen hin. Mir wurde vom Sanitäter eine Infusion angehängt, der spätere Domprobst Heinz Huber kam und verabreichte mir die Krankenölung und sobald es ging, wurde ich mit einem Militärauto an die Kinderklinik gebracht. Wir fuhren durch die Universitätsstraße, den sog. Franziskanerbogen und den Burggraben und ich erinnere mich genau, dass ich dabei sehen konnte, wie das „Unterbergerhaus“, das Eckhaus Burggraben – Museumstraße, in sich zusammenfiel. Ob es zuvor schon so beschädigt war oder ob zu diesem Zeitpunkt immer noch Bomben fielen, weiß ich nicht. An der Klinik wurde eine schwere Nierenquetschung bei mir festgestellt, klinisch auf der linken Seite. Ob diese Diagnose mittels einer Röntgenuntersuchung bestätigt oder nur aufgrund der anhaltenden starken Hämaturie gestellt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich wurde in einen Kellerraum gebracht und bekam dort eine Blutkonserve nach der anderen. Während alle anderen kranken Kinder nur vorübergehend bei Fliegeralarm im Keller waren, blieb ich dauernd dort, offensichtlich war mein Zustand für den wiederholten Auf- und Abtransport zu schlecht. Besuch von meiner Mutter bekam ich nie, wahrscheinlich durfte sie nicht kommen. Ich erfuhr aber, dass mein Bruder Walter wegen seiner Oberarmfraktur an der „Alten Chirurgie“ aufgenommen war. Nach drei Tagen sagte man mir dann, dass wegen der anhaltenden Blutung für den kommenden Montag die Entfernung meiner linken Niere auf das Operationsprogramm gesetzt worden sei.

Doch dazu kam es nicht. Am Sonntag, den 19.12.1943 erfolgte der zweite Luftangriff (vier Tage nach dem ersten) auf Innsbruck. Es krachte ungeheuerlich. Diesmal wurden auch mehrere Klinikgebäude getroffen. Ich lag im Keller der Kinderklinik und wusste weder was mit Walter war noch mit der Mama und dem Pepi. Man beschloss, die Klinik unverzüglich, also bereits am nächsten Tag, z.T. nach Natters und z.T. nach Seefeld zu verlegen. Meine Operation musste deshalb aufgeschoben werden. Da nahm mich, weil ich inzwischen kreislaufstabil geworden war, unsere Mutter aus der Klinik (mein Bruder war bereits entlassen), organisierte einen Fiaker, den Stiefvater von Rosi L., der uns nach Hall kutschierte (weil vom teilzerstörten Innsbrucker Bahnhof keine Züge abgefahren sind) und von dort ging es mit der Eisenbahn nach Salzburg und irgendwie dann weiter bis Michaelbeuern zu den Großeltern. Einige Zeit noch an das Bett gefesselt, ging die Hämaturie immer mehr zurück und hörte schließlich von selbst auf. Der zweite Bombenangriff auf Innsbruck war also ein Glück für mich; sonst hätte ich nur noch eine Niere.“

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Als Ergänzung zu meinem Buch habe ich noch folgenden LS-Pfeil an der Ostseite des Canisianums (Karl Schönherr-Straße) entdeckt.

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Am 12. Dezember 2018 erscheint mein Buch über die Luftangriffe auf Innsbruck im 2. Weltkrieg. Darin werden alle 22 Angriffe chronologisch angeführt, mit zahlreichen Details, auch zu den  Schwerpunkten der Zerstörung sowie Zeitzeugenberichten zu jedem Angriff. Eine Besonderheit stellt die Darstellung der zivilen Schutzmaßnahmen für Innsbruck dar, die es derart gebündelt in dieser Form noch in keiner Veröffentlichung zu finden gab. Abgerundet wird diese Dokumentation mit einem besonderen Bildteil: Rund 40 Aufnahmen von Bombenruinen werden präsentiert, dazu eine jeweilige Vorkriegs- und Gegenwartsaufnahme. Ebenso werden noch einige Spuren des Luftkrieges im heutigen Stadtbild gezeigt.

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